Dies ist eine Sammlung von Geschichten, die das Leben schrieb, das pralle Leben im Zentrum Frankreichs. Manches mag unglaublich erscheinen, frei erfunden, der guten Story zuliebe. Wir selbst haben ja oft den Kopf geschüttelt und uns nur noch gewundert und gefragt, ob wir vielleicht schon zu viel Grinsi-Wein getrunken haben. Und außerdem brauchen Sie, lieber Leser, nur mal die Freunde zu fragen, die mit uns und durch uns die Auvergne kennen gelernt haben, den Bernhard, die Franziska, die Margit, die Anne, den Ulrich und all die andern. Manche von ihnen kamen jedes Jahr (unverfroren!), und manche von ihnen fahren auch heute noch immer wieder hin (unbelehrbar!). Will sagen: Die Auvergne kann zur Droge werden.


Der Rose von Corent

Freunde haben uns mitgenommen in ihr Lieblingsrestaurant nach Corent. Ohne die Hilfe Eingeweihter wäre es wohl kaum zu finden, und selbst dann würden wir uns in diesen alten Schuppen gar nicht hineingetrauen. Eine Außenbeleuchtung fehlt total. Es gibt weder ein Schild mit dem Namen der Besitzer oder des Restaurants, geschweige denn eine Speisekarte. Wir geben ein paar Stufen hinunter und öffnen eine schwere Holztür. Dahinter liegt ein einziger Raum mit einem Gewölbe. eine ehemalige cuvage, da hat man früher den Wein „zubereitet'. Im Kamin, aus Naturstein gemauert, brennt ein gemütliches Feuer. Darüber brutzeln
respektierter Entfernung die gigots d`agneau - die Lammkeulen, am Faden aufgehängt, gerade so, daß sie garen, aber nicht verbrennen, und ihr Fett tropfenweise das gratin de pommes de terre - den Kartoffelauflauf - in einer großen Rechteckform saftig und knusprig macht Wer bis jetzt noch keinen rechten Appetit hatte. der bekommt ihn spätestens bei diesem Anblick. So ungefähr muß es schon vor hundert Jahren zugegangen sein.
Auf den langen Holztischen stehen leere Glasfaschen - eine Weinkarte gibt es nicht. Aber eine Treppe tiefer stehen zwei große Fässer, eins mit Rotwein, das andere mit Rot! gefüllt, dem berühmten Rose de Corent. Jeder kann trinken soviel er will, holen muß man den Wein allerdings selber. Das ist zu Beginn des Abends kein Problem. Die männlichen Gäste, fast alle in Anzug und Krawatte, kümmern sich genesenen Schrittes um diese unweibliche Aufgabe, steigen hinab in den feuchten Keller und servieren den Damen den gewünschten Tropfen.
Nun verändert sich diese Szenerie im Laufe des Abends beträchtlich. Der (Gang der Weinholer wird lockerer, die Mienen entspannter, die Krawatte fehlt auch schon, und zu späterer Stunde erkennt man deutlich, wozu diese Treppe ein so stabiles Geländer hat! Runder kommen sie alle irgendwie nur das Wiederhinaufsteigen mit einer vollen Flasche in der einen Hand entwickelt sich zunehmend zum regelrechten Spektakel, so daß die Blicke, die zunächst am Kaminfeuer und den triefenden Lammkeulen hingen, nun in die andere Richtung gehen und den Gehbehinderten gelten, die den Aufstieg aus dem Weinkeller versuchen.
Natürlich erzählen wir den Freiburgern von diesem tollen Restaurant, und die sind schon ganz scharf darauf, da endlich hinzukommen. Außer mit dem grenzenlosen Weinkonsum haben wir sie auch noch mit dem Dauert heißgemacht. Aber als wir zum Nachbartisch schauen, wo eine Runde Japaner etwa gleichzeitig mit uns ihre Mahlzeit verzehrt, da sehen wir mit Entsetzen, daß die Eis aus Pappbechern in sich hineindrücken! So gebt's ja auch nicht! Deshalb sind wir nicht hier. Die Bedienung wird gerufen, und wir erkundigen uns mit viel Honig in der Stimme, ob wir nicht das supertolle Spitzendessert vom letzten Mal kriegen könnten, unser Besuch aus Deutschland wäre extra deswegen gekommen und noch eine Weile so weiter. Das Fräulein taut sichtlich auf, fühlt sich gebauchpinselt, lächelt, nickt dann sogar und entschwindet. Und sie kommt nach einer Weile zurück mit einem Omelette norvegienne - einem in Meringe gehüllten Eisblock, der im Grill überflammt und am Tisch flambiert wird. Den Japanern am Nachbartisch fallen fast die Plastikgriffel aus der Hand, als sie unser Dessert erblicken!
Was die paradiesische Schluckerei angeht, so müssen wir uns leider sagen lassen, daß die Exzesse wohl dermaßen schlimm waren, daß man sich gezwungen sah, die Weinmenge nun doch zu begrenzen, ein Liter für vier Personen ist im Menupreis enthalten, alles weitere muß extra bezahlt werden. Holen darf man ihn noch immer selbst, aber naja, das ist doch nicht mehr dasselbe. Beim Bezahlen fragt uns die Bedienung nun, wie oft wir denn „unten" gewesen wären ... Es muß orgiastisch gewesen sein, dieses „free climbing` auf der Holztreppe, denn der Chef ist kein Mann von Traurigkeit. Wenn er Freunde zu Gast hat und die Stimmung dem Höhepunkt zustrebt, dann ergreift er den Säbel und öffnet mit einem Streich die Champagnerfasche - sabrer le champagne nennt man das. Leider haben wir noch nicht zu den Teilnehmern einer solchen Runde gezählt.
Daniel möchte unser Kultur-Defizit diesbezüglich bei der nächsten Gelegenheit ausgleichen. Das Hioble hat Geburtstag, aber erst in ein paar Minuten, dann ist Mitternacht. Wir sitzen mit Freunden in der großen Küche von Daniel und Christiane tun den drei Meter langen Eßtisch herum. Die Champagnerflasche ist schon bereit, und Daniel will sie würdevoll öffnen. Die Sache hat nur einen Haken er hat keinen Säbel! Statt dessen kramt er das größte Küchenmesser hervor und rumst die Schneide gegen den Flaschenhals! Alle blicken gebannt auf den Zeremonienmeister. Nichts tut sich. Daniel holt weiter aus und schlägt sich selbst die Flasche aus der Hand! Sie fällt krachend auf den Fliesenboden, zerbricht aber nicht. Nun kriegt Daniel langsam die Wut und wir die Angst. Wir verkriechen uns hinter Stuhllehnen und Türpfosten. Daniel versucht noch einige Male, den Flaschenhals mit dem Riesendolch zu köpfen. Aber die Flasche fällt nur immer wieder zu Boden. Endlich, endlich schafft es Christiane, ihrem Mann das Messer abzunehmen und ihn zu überreden, die Flasche „klassisch" zu öffnen. Aber das ist nach all dem Geschüttel nun auch nicht mehr möglich. Kaum ist der Draht entfernt, saust der Korken davon und der Champagner über das neue Hemd vom armen Jacques, der wie ein begossener Pudel dasitzt. Er könnte jetzt gut seine Ärmel auslutschen. Die Reste in der Flasche reichen natürlich nicht hin und nicht her. Die zweite Flasche macht dann allerdings Christiane auf..


Rezept für das Omelette norvigienne wie in Corent:

  Man nimmt eine ovale oder rechteckige, flache, feuerfeste Form und legt sie mit Löffelbiskuits aus. Diese tränkt man tüchtig mit Himbeergeist. Darauf gibt man einen Block Vanilleeis, eine Schicht frische Erdbeeren und einen zweiten Block Eis. Fünf bis sechs Eiweiß werden mit einer Prise Salz und Zucker nach Belieben steifgeschlagen, am besten im Wasserbad. Das Eispaket dekorativ mit dem Schaum umhüllen, mit der Gabel Spitzen hochziehen. Ab in den glühend heißen Backofen oder unter den Grill. Nicht weglaufen! Nach
wenigen Minuten werden die Eiweißspitzen braun. Das Dessert auftragen und bei Tisch mit erhitztem Rum oder Cognac flambieren.
 

Das Buch hat 194 Seiten und kostet 12,50 €   ISBN 3-933584-70-1   Bestellen entweder im Buchhandel oder direkt bei der Autorin
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